Durch die Corona-Pandemie ist das kulturelle Leben in Deutschland weitgehend zum Erliegen gekommen. Der Gesundheitsschutz genießt oberste Priorität. Gleichzeitig sind aber auch andere Grundrechte (Kunstfreiheit, Berufsfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit) bei den Kulturschaffenden und beim Publikum betroffen. Bei Grundrechtseingriffen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d.h. unter mehreren gleich wirksamen Mitteln ist das mildeste Mittel zu wählen, welches die betroffenen Grundrechte am wenigsten beeinträchtigt.

Der „Shutdown“ im Bereich der Kultur ohne öffentliche und politische Diskussion um klare Regeln für einen geordneten Wiedereinstieg ist daher kritisch zu überprüfen. Trotz der zahlreichen Auftrittsformate im digitalen Raum besteht beim Publikum zudem das vitale Bedürfnis, Kunst wieder direkt und „analog“ zu genießen.

Test: wie lässt sich eine Aerosol-Verbreitung minimieren, ohne den Klang wesentlich zu beeinträchtigen?

Die Arbeitsgruppe Gesundheit und Prophylaxe der DOV hat daher eine Aufstellung praktischer Vorschläge zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter gleichzeitiger Einhaltung von Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen erstellt. Die Arbeitsgruppe lädt die medizinische Wissenschaft ausdrücklich ein, die Vorschläge auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Bei Vorliegen neuer Erkenntnisse und Erfahrungen sind die einzelnen Maßnahmen dann entsprechend anzupassen.

Es ist nach wie vor große Vor- und Umsicht geboten, damit die bisher positive Entwicklung bei der Eindämmung der Folgen der Pandemie nicht durch ein zu sorgloses Umgehen mit der weiterhin hohen Ansteckungsgefahr in Frage gestellt wird.

Bei der nachfolgenden Aufstellung handelt es sich um praxisnahe Vorschläge, die durch spezialisierte Fachmediziner (Musikergesundheit, Arbeitsmedizin) unter Arbeitsschutzgesichtspunkten zu beurteilen sind.

Aufführungsformate und Probendispositionen sollten immer im Vorfeld mit dem Betriebsarzt und dem örtlichen Gesundheitsamt abgesprochen werden.

Folgende interne Maßnahmen für die Orchester und Chöre können bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltungen hilfreich sein:

Medizinisch-hygienische Maßnahmen

  • Mund-Nase-Schutz für Dirigenten, Streicher, Tastenspieler, Schlagzeuger
  • Bei Trompeten und Posaunen können Stoffüberzüge über die Schallstücke gespannt werden. Dies ermöglicht einen Aerosolschutz ähnlich wie beim Mund-Nase-Schutz (evtl. auch bei Oboen, Klarinetten und Fagotten?)
  • Bei Sängern vergrößerte Abstände und vermehrter Einsatz von Plexiglasschilden (auch seitlich), um Verbreitung von Aerosolen und Tröpfchenflug einzudämmen
  • Kondenswasser bei Blasinstrumenten nicht auf den Boden, sondern auf Zellstofftücher oder Zeitungen, die von jedem Spieler individuell in Hygienebehälter entsorgt werden.
  • Plexiglaswände als Aerosolschutz verwenden (ähnlich Supermarktkasse) – besonders bei Bläsern, die beim Spielen keinen Mundschutz tragen können.
  • Bei längeren Pausen tragen auch Bläser Mundschutz
  • Garderoben/Aufenthaltsräume/Stimmzimmer an erforderliche Abstandsregeln anpassen. Bei gutem Wetter Aufenthalt im Freien.
  • Kein Umkleiden im Theater oder Konzerthaus
  • Begrenzung des gleichzeitigen Aufenthalts in Sanitärräumen
  • Orchesterwarte tragen Schutzhandschuhe während des Instrumententransportes, nachdem die Instrumente gespielt wurden
  • Raumlufttechnische Anlagen nicht ausschalten, da diese die Aerosolkonzentration in der Raumluft verringern (BMAS)
  • Häufiges Lüften des Raumes
  • Reinigungsintervalle im Haus verkürzen

Organisatorische Maßnahmen

  • nur ein Spieler pro Pult, auch bei Streichern
  • Abstand mindestens 1,5-2 m. Bei Bläsern und Sängern wegen der intensiven Atmung größere Abstände. Empfehlungen rangieren zwischen 3 und sogar 6 m (vor Sängern) und 12 m (vor Bläsern – ohne nähere Begründung)
  • Anzahl der Musiker*innen an die Größe des Raumes anpassen (pro Spieler 10-20 m²). Bei Bläsern eher weniger als bei Streichern. Auch die Raumhöhe und Raumlüftung in Abwägung einbeziehen.
  • Proben getrennt nach einzelnen Stimmgruppen
  • Kleiner besetzte Programme spielen (Kammerorchester/-Ensembles aber auch Bläserbesetzungen)
  • Dieselben Programme öfter spielen (zwei oder mehr Konzerte hintereinander)
  • Anpassung des Spielplans: Barockopern, Operetten/Opernarrangements, die die Besetzung verkleinern
  • Eingang und Ausgang getrennt (Ströme nur in eine Richtung – „Einbahnstraße“)
  • Auftritt und Abtritt in festgelegter Reihenfolge nach Stimmgruppen
  • Kürzere Proben ohne Pausen; oder Proben mit mehr Pausen, die im Freien abgehalten werden können. Ggf. Erweiterung der Pausenräume.
  • Bei Abstechern mit größeren Entfernungen individuelle Anfahrt ermöglichen. Fahrkostenpauschale und Buskapazitäten großzügig planen.

Psychologische Aspekte

  • Beteiligung von Musiker*innen darf nicht erzwungen werden, wenn persönliche Ängste dies nicht zulassen (kein Druck/Gruppenzwang)
  • Risikoerhöhende Vorerkrankungen schließen evtl. eine Mitwirkung aus. Ärztliche Bescheinigungen gefragt
  • Betriebsarzt einbeziehen
  • Personalvertretungen und Orchestervorstände sollten hierfür Regelungen im Vorfeld schaffen

Folgende Maßnahmen für das Publikum können helfen:

  • Eingang und Ausgang getrennt (Ströme nur in eine Richtung – „Einbahnstraße“)
  • „Boarding“ getrennt nach Blöcken
  • Ebenso Ausstiegsordnung nach Blöcken/Reihen
  • Mund-Nase-Schutz verbindlich, evtl. am Eingang austeilen
  • An Eingängen auch Desinfektionsmöglichkeiten
  • Vermeiden von Warteschlangen an Kassen, Sanitäranlagen, am Eingang, beim Einlass, Führen des Publikums durch das Haus, durch Markierungen
  • Wege im Haus organisieren, Abstände markieren an Kasse und in Sanitäranlagen
  • Vermehrtes Einlasspersonal, aber bei Einteilung möglichst immer die gleichen Teams einteilen
  • Besondere Schulung des Einlasspersonals
  • Eintrittskarten nur mit Abstand kontrollieren
  • Freiwillige Fieberkontrolle (Verhältnismäßigkeit?). Besuchern mit Anzeichen von Covid-19 Symptomen darf der Zutritt verweigert werden. Hier gilt das Hausrecht.
  • Freiwillige Hinterlegung der Adresse zur Nachverfolgung potenzieller Infektionen
  • kleinere Formate mit reduziertem Publikum, dafür mehr Konzerte hintereinander
  • Andere Formate: z.B. Open-Air Konzerte mit stehendem (oder wandelndem?) Publikum, Wege und Stehplätze kennzeichnen.
  • extra Konzerte und Programme für jüngeres Publikum/Familien und Risikogruppen
  • eingeschränktes Pausen-Catering, zum Beispiel nur mit Vorbestellung, eher aber geschlossene Gastronomie
  • Konzerte, Vorstellungen – wenn möglich – ohne Pausen spielen
  • Garderobe mit in den Saal nehmen
  • Anzahl der Personen pro m² berechnen, auf 10 m² (20 m²) eine Person; Raumhöhe in Abwägung einbeziehen
  • Verkauf von Sitzplätzen jede zweite/dritte Reihe, zwischen zwei Besuchern 2-3 Plätze frei
  • Reinigungsintervalle in Sanitäranlagen und Foyers verkürzen
  • Theater vor Vorstellung durch Spezialteam desinfizieren?

AG Gesundheit und Prophylaxe der DOV
30. April 2020